Baghdad, 27. März

Baghdad bei Nacht. Die Stadt erinnert an ein Trainingscamp für Spezialeinheiten. Soldaten und Milizionäre unter den Bildern derjenigen, die im Kampf gegen den IS gefallen sind. Martialische Panzerfahrzeuge und Straßenblockaden. Die Gesichter schiitischer geistlicher Führer auf riesigen Plakaten. Wenige Meter neben den Militärstellungen, die zum größten Teil aus amerikanischem Gerät bestehen, verfallene Moscheekupeln aus Lehm. Es herrscht Ausgangssperre, wegen Corona, und wir passieren die Greenzone. Hier dauert es zehn Minuten, bis wir durchgelassen werden, obwohl der Fahrer im Namen des irakischen Präsidenten Barham Saleh unterwegs ist. Ich werde kein einziges Mal kontrolliert, nur er muss sich erklären. Die Straße zu den Hotels, in denen Ausländer untergebracht werden, ist von einem riesigen Pickup blockiert, sodass wir durch enge Gassen fahren und Mülltonnen zur Seite schieben, um durchzukommen.

Das Hotel ist schwerbewacht, am Eingang wird das Auto von Hunden beschnüffelt, die nach Sprengstoff suchen. Jemand greift unter die Sitze, wo vielleicht eine Pistole stecken könnte. Im Innern eröffnet sich eine ganz eigene Welt, voller Palmen und romantischer europäischer Gemälde. Gäste flannieren in Polohemd oder Trainingsanzug durch die Hallen. Überall ist Personal, in jedem Raum gibt es bis zu zehn Angestellte, die allerdings nur wenig auf die Gäste achten – meist sind sie von internen Diskussionen ganz in Beschlag genommen. Die Lobby könnte ebensogut zu einem Hotel in Paris oder Berlin gehören. Eine schmale, dunkle Treppe führt durch Bauschutt hindurch in die dritte Etage, wo mein Zimmer liegt. Hier gibt es keinen Strom und ich finde mich nur mit Taschenlampe in das Bett. Morgens wird an die Tür gehämmert, weil geputzt werden muss. Erst als ich wieder unten in der Lobby bin, ist das Bild des ort- und zeitlosen Luxushotels wieder hergestellt.

Im Innenhof kämpfen Arbeiter gegen den starken, sandigen Wind an und renovieren den Pool, damit reisende Diplomaten sich hier im Sommer wirkungsvoll von der Stadt um sie herum erholen können und die Gefahr vergessen, die jeder offizielle Besuch hier birgt. Der Fahrer, der im Namen des Präsidenten fährt, erscheint in der Lobby und bringt mich zu seinem Auftraggeber. Sagvan ist ein Yezide aus dem kleinen Dorf Sharya, nahe Dohuk, in den kurdischen Gebieten. Er wohnt in einem weitläufigen, aber vergleichweise bescheidenen Haus innerhalb einer weiteren Sicherheitszone. Er lässt Ingwertee servieren und spricht über den Schrein in seinem Heimatdorf, der im Namen des heiligen Karacal errichtet worden ist, über die derzeitigen Spannungen zwischen der irakischen Regierung und der PK* und über die Antike Religion des Mithraismus. Er ist ein ruhiger, belesener Mensch, der einem seine Meinung nicht aufdrängen will. Sagvan arbeitet im Büro des Präsidenten, was für einen Yeziden aus den kurdischen Gebieten, noch dazu jemanden aus bescheidenen Verhältnissen, keine Selbstverständlichkeit ist. Er hat vor Jahren ein DAAD Stipendium für die Universität Leipzig bekommen, entschied sich aber für die politische Karriere im Irak.

Der Fahrer, dessen Name nicht genannt wurde, bringt mich zum Flughafen. Wir sprechen Arabisch miteinander.

Warst du schonmal im Irak?, fragt er.

Nur im Norden, antworte ich etwas vage. Ich weiß nicht, wie man die kurdischen Gebiete hier nennt. Die Frage nach einer möglichen Unabhängigkeit der autonomen Region Kurdistan vom Zentralirak ist ein sensibles Thema.

Norden? Er lacht. Wir sagen hier Kurdistan, nicht Norden.

Diesmal werden wir in der Stadt kaum aufgehalten.

Am Eingang des Flughafens läuft eine Frau an unserem Auto vorbei, die ein ziemlich nordeuropäisches Aussehen hat.

Schau, hier in Baghdad sind jetzt überall Chinesen, meint der Fahrer leise.

Im Flugzeug dann sitze ich neben dem ehemaligen Bürgermeister von Erbil. Er kommt gerade vom Auswärtsspiel Erbil-Kerbala.

Fußball ist hier ganz groß, meint er in nahezu perfektem Deutsch.

Nächste Woche kannst du mit mir zum Heimspiel in Erbil kommen. Eigentlich sind Zuschauer verboten, wegen Corona, aber das kriegen wir schon hin. Und wenn du sonst irgendwelche Schwierigkeiten hast, sag mir Bescheid. Das hier ist der Orient! Da läuft alles über Kontakte. Ich mache natürlich alles innerhalb des gesetzlichen Rahmens, das versteht sich von selbst.

Er ist seit 2016 für die Renovierung der historischen Zitadelle von Erbil verantwortlich, eines der ältesten kontinuierlichen Siedlungsgebiete der Welt. Er selbst wurde auf dieser Zitalle geboren, wo bis Anfang der 2000er Jahre noch mehrere Familien lebten. Später dann ließ er den größten Teil dieser Familien umsiedeln, um die Zitadelle zu einem Tourismusmagneten umzugestalten.

Im Herbst 2019 habe ich in Sulaymaniye einen älteren Deutschen getroffen, der dort eines der letzten historischen Häuser der Stadt instand setzte. In der Region Kurdistan sind seit dem Sturz Saddam Husseins vermutlich mehr als 90% der traditionellen Architektur zerstört worden – ganz einfach weil der Wirtschaftsaufschwung die finanziellen Mittel dafür zirkulieren ließ. Heute sieht man überall Hochhausskelette, für deren Fertigstellung das Geld letztlich doch fehlte. Peter hatte sich die Technik zur Herstellung von Kalk angeeignet, der mit der Zeit eine dauerhafte Verbindung mit dem Natursteingemäuer eingeht. Er geriet regelmäßig in Wut, wenn er über die Restauration der Zitadelle von Erbil sprach. Dort hatte man angefangen, die verbliebenen Strukturen mit Zement zu verputzen, wodurch Wasser ins Gemäuer gezogen wird. Die restliche Lebenszeit der Zitadelle dürfte also überschaubar sein.