Der Piri Awra Schrein
Der Piri Awra Schrein wird von Haydar Sheshos Miliz HPE kontrolliert. Die Verteidigung eines Schreins gegen den “IS” berechtigt gewissermaßen dazu, das entsprechende Territorium als Eigentum zu betrachten. Am Checkpoint hängt das Bild eines gefallenen Kämpfers. Während man vermuten würde, dass dieser Ort vom “IS” angegriffen wurde, fanden die Kämpfe aber einige Kilomenter entfernt auf der Hauptstraße statt und die Jihadisten sind nie auch nur annähernd zu Piri Awra vorgedrungen.
Der mijawir (arab.: mitwali), der Hüter des Schreins, erzählt, dass nur lokale Yeziden diesen Ort gegen den “IS” verteidigt haben. Während heute verschiedene politische Parteien bestimmte militärische Erfolge für sich beanspruchen, und damit auch bestimmte Gebietsansprüche begründen, erzählen die meisten lokalen YezidInnen heutzutage, dass es fast ausschließlich die lokale Bevölkerung war, die gekämpft hat – nur oft eben in den Uniformen kurdischer und irakischer Milizen.
Ein Wunschbaum – Frauen kommen hierher, um dafür zu beten und zu opfern, schwanger zu werden.
Der Shebel Qasim Schrein
Der Shebel Qasim Schrein ist sicherlich einer der wichtigsten Schreine der Region. Vor seinem Eingang befindet sich das Grab Hamu Shiros, den die britische Kolonialmacht zum Führer der YezidInnen ernannt hatte. Da er de facto aber nur einen begrenzten Einfluss in der Region hatte, konnte er diesen Anspruch nie durchsetzen. Die Dörfer, die von seinem wichtigsten Konkurrenten, Dawude Dawud, kontrolliert wurden, haben die Briten bombardiert, weil Dawud sich hartnäckig weigerte Steuern zu zahlen und junge Männer in den Militärdienst zu schicken.
Ein Wunschbaum am Grab der Seherin Dayi Zero, direkt neben dem Shebel Qasim Schrein. Sie hatte in ihren Wachträumen schon lange davon gesprochen, dass der “IS” einst in Shingal einfallen würde und alle Menschen gezwungen würden, auf den Berg zu fliehen. Das Grab und der heilige Baum werden nun von Frauen mit unerfüllten Kinderwünschen besucht.
Unsere Begleiterin gehört zu einer militärischen Fraueneinheit. Sie geht davon aus, dass Dayi Zero eine Frau war, die sich für ein zölibatäres Leben entschieden hat. Ihr Fahrer, ein lokaler Yezide, widerspricht sofort: Sie sei natürlich verheiratet gewesen. Hier geht es um die entscheidende, und sehr umstrittene, Frage, wie eine Frau zu leben hat, um als ehrenvoll angesehen zu werden. Die Parteien und Gruppen, die sich an Abdullah Öcalan orientieren sprechen meist für eine (temporäre) Trennung der Geschlechter und den Verzicht auf zwischengeschlechtliche Liebe. Für die sehr traditionelle yezidische Gesellschaft in Shingal ist diese Vorstellung wohl schwer zu nachzuvollziehen.
(Eszter Spät merkt hierzu an, dass es in anderen Gegenden des Irak durchaus eine Tradition gibt, nach der von Seherinnen und Sehern im YezidInnentum erwartet wird, dass sie ein zölibatäres Leben führen. Diese Tradition scheint es aber in Shingal nicht zu geben. Außerdem sei Dayi Zero vielleicht die einzige weibliche Seherin, deren Wirken durch einen heiligen Ort an die Nachwelt überliefert wird.)
Der Ezi Schrein
Der Hajali Schrein
Dieser Schrein ist bekannt dafür, “Wahnsinnige”, zu heilen. Diese Menschen gelten als von Geistern besessen und werden daran erkannt, dass sie von einem Tag auf den anderen der Verstand verlieren oder plötzlich eine andere oder gar keine Sprache mehr beherrschen. Sie müssen eine Nacht im Innern des Schreins schlafen, um geheilt zu werden. Die Kuppel ist über einer Höhle im Felsen gebaut.
Im Innern der Schreine befinden sich die peri genannten Tücher, an die ein Wunschritual geknüpft ist. Zuerst soll man einen der Knoten öffnen, damit sich der Wunsch eines anderen Menschen erfüllt, der diesen Knoten gemacht hat. Dann macht man an dieselbe Stelle einen eigenen Knoten und wünscht sich dabei etwas – das dann in Erfüllung gehen soll, wenn jemand anders irgendwann den Knoten öffnet.
Der Schrein Kuchek Lalish
Der Pir Zeker Schrein
Einer der shi’itisch-muslimischen Schreine in der Region. Ein uralter Maulbeerbaum war hier wohl lange Zeit Anziehungspunkt für Menschen aus unterschiedlichen religiösen Kontexten. Der “IS” hat den Schrein sofort gesprengt und die goldene Kuppel liegt bis heute in den Trümmern.
Der Schrein des Sheykh Shems
Ein heiliger Ort am Fuße eines massiven Felsblocks, in der Nähe des Sheykh Shems Schreins. Hier gibt es nur ein kleines nishangah (kurd., “ein Ort, der etwas bezeichnet/symbolisiert”) aus Lehm, in dem die Besuchenden Kerzen anzünden können und den Rest eines alten Baumes, an den Stofffetzen gebunden werden – nichts weist auf den Namen dieses Ortes hin.
Der Schrein des Pirafat
Bare – der Schrein des Sheykh Mahamma
Bare wird von der YBS kontrolliert. Der Schrein des Sheykh Mahamma wurde von diesen Gruppen wieder aufgebaut und Swari Gidoki genannt, einem anderen Namen für Mahamma, der vor 50 oder 500 Jahren an diesen Ort gekommen und möglicherweise im Schnee erfroren ist: der Reiter Gidoki. Es gibt unterschiedliche Erzählungen darüber, ob Mahamma ein Muslim oder ein Yezide war. Eine weitere Version besagt, dass im Namen des Ortes, Sheykhe Mahamma, eigentlich zwei Personen stecken: Ein Sheykh und Mahamma. Demnach habe Mahamma einen Sheykh bei sich aufgenommen, für den dann später ein kleiner Gedenkort gebaut wurde. Dieser Ort habe sich zu einem mazar entwickelt.
Ein Mann aus Bare zeigt uns die Gräber, die vom “IS” zerstört wurden.
Ein zweiter Schrein in Bare: Daqi Mera
Lokale Kämpfer sollen Geld an den “IS” gezahlt haben, damit dieser den Schrein nicht sprengt. Daqi Mera bezeichnet einen Mann, der “in einer Minute” geboren wurde. Als Daqi Mera noch nicht geboren worden war, hatte sein späterer Bruder einen Hasen getötet. Hasen waren aber für Sheykh Shems, einen anderen Heiligen, heilige Tiere, weshalb dieser den Bruder von Daqi Mera zur Strafe gefangen nahm und folterte. Beim jüngsten Gericht habe der Vater des Gefolterten vor Trauer und Scham geweint und Daqi Mera wurde aus seinen Tränen geboren. Das wiederum führte dazu, dass die Nachkommen von Sheykh Shems sich dem Mazar von Daqi Mera nicht nähern konnten, ohne sofort umzukommen. Ein Pakt wurde geschlossen und jene mussten nun einmal im Jahr ein Opfer für Daqi Mera darbringen, damit sie vor seiner Rache sicher sind.
Das Mam Zekî Monument
Hier haben die mit der PKK verbündeten Gruppen ein Monument für Mam Zekî gebaut. Dieser war, bis er hier 2018 von einem türkischen Luftangriff getötet wurde, der wichtigste yezidische Führer in diesem politischen Spektrum. Das Monument ist deutlich der Form eines yezidischen mazar nachempfunden.
Ein Kinderfriedhof in Khanasor – aus mir bisher unbekannten Gründen werden Kinder in der Region auf eigenen Friedhöfen beerdigt. Ein kleines Nishangah verbindet den Friedhof symbolisch mit einem bestimmten heiligen Ort in den Bergen. Hier werden in Stoff eingenähte Wünsche hinterlassen.
Der Schrein des Sheykh Qureysh
Dieser Schrein ist yezidisch, allerdings war der Friedhof, auf dem er steht, muslimisch – bis die lokalen kurdischen Sunniten 2014 die Region verließen, weil sie – wohl teilweise zurecht – beschuldigt werden, den “IS” unterstützt zu haben. Der Schrein war möglicherweise ein geteilter heiliger Ort, der von MuslimInnen und YezidInnen gemeinsam genutzt wurde.
Der Schrein des Sheykh Mend (Nordshingal)
Neben Sheykh Mend befindet sich das kleine Mazar für Hisnalka, über den mir bisher niemand etwas Genaueres erzählen konnte. Der Ort wird, wie so viele andere, von Frauen mit Kinderwunsch aufgesucht.
Sheykh Mend wird traditionell mit Schlangen in Verbindung gebracht. Die Sheykhs, die zu diesem Heiligen gehören, sind dafür bekannt Schlangen mit einem Zauber ruhigstellen zu können. Einer von ihnen hat uns Fotos gezeigt, auf denen zu sehen ist, wir er eine riesige Schlange in der Hand hält.
Das kleine nishangah neben dem Mazar deutet die Formen eines babylonischen Tempels an. Es ist Teil eines neueren Trends unter den Yezidi, sich als eine Art Urreligion im Zweistromland zu verstehen.
Es gibt hier tatsächlich eine Art Hühnerkult: Sheykhs, die zu Amadin gehören, ist es verboten Hühnerfleisch zu essen.
Der Schrein der Khatuna Fakhra
Meines Wissens nach der einzige Schrein in Shingal, der einer Frau gewidmet ist
In einer Höhle neben dem Schrein leben Dschinns. Besuchende bringen Essen und andere Geschenke mit und legen sie auf den Teppich. Jedes Mal sind sie nach einer Stunde verschwunden. Unsere Begleiter nähern sich respektvoll und grüßen die Geister. Eintreten wollen sie nicht.
In den Schreinen dieser Gegend hängen Fotos von Verstorbenen aus jenen Familien, die religiös an sie gebunden sind.